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Transformative Kraft für ländliche Räume: Warum es sich lohnt, Leerstände zwischenzunutzen

Zwischennutzungen können nicht nur in dicht besiedelten Großstädten mit Mangel an bezahlbarem Raum neue Gestaltungsräume schaffen, sondern auch in ländlichen Regionen neue Impulse für belebte Innenstädte und Regionalentwicklung setzen.

Bislang gelten Zwischennutzungen für Immobilienbesitzer:innen aus ökonomischer Sicht häufig noch als Vermietung “zweiter bis dritter Klasse” oder, im Falle von Steuervergünstigungen durch leerstehende Räumlichkeiten, auch als gänzlich ökonomisch sinnlos. Darüber hinaus haftet ihnen aufgrund von Unsicherheiten bezüglich rechtlicher Rahmenbedingungen, Vorbehalten aus Zeiten der Hausbesetzer:innen-Szene oder der Befürchtung vor hohen Aufwänden ein eher negatives Bild an.

Doch unter sozial-kulturellen, ökologischen sowie ökonomischen Gesichtspunkten können Zwischennutzungen von großem Mehrwert für Kommunen sein. Und auch für Eigentümer:innen gibt es, entgegen der gängigen Vorurteile, viele Anreize.

PopUp Prignitz formiert sich seit letztem Jahr als regionale Zwischennutzungsagentur für den Landkreis Prignitz.

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Felicitas Nadwornicek
Warum sich Zwischennutzungen für Eigentümer:innen lohnen
  • Verhinderung von Verfall und Schäden durch Vandalismus

    Fakt ist: Leerstehende Immobilien, die nicht beheizt und gepflegt werden, sind anfälliger für Schäden und verfallen schneller. Durch Zwischennutzungen können Immobilien, die dauerhaft oder für einen gewissen Zeitraum leer stehen, bis zur nächsten langfristigen Nutzung oder Vermietung Instand gehalten werden. Die Nutzer:innen vor Ort erwecken damit nicht nur leerstehende Räume zu neuem Leben, sondern übernehmen gleichzeitig und je nach Absprache eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Kümmererfunktion. Damit kann die Bausubstanz geschützt und langfristig erhalten werden. Denn durch die Zwischennutzung wird die Immobilie genutzt, beheizt und – durch Kunden oder eigenes Wohnen – frequentiert. Doch nicht nur das: Belebte Räume sind weitaus weniger anfällig für eingeschlagene Fenster und Ähnliches. Daher ist ein positiver Nebeneffekt einer Zwischennutzung immer auch der Schutz vor Vandalismus.

  • Finanzielle Vorteile und Wertsteigerung

    Auch wenn die finanziellen Einkünfte aus Zwischennutzungen nicht vergleichbar mit regulären Mieteinnahmen sind, so können doch auch finanzielle Gewinne aus der Zwischennutzung erwartet werden. Denn während im Falle von Leerstand keine Einnahmen generiert, aber gleichzeitig laufende Kosten getätigt werden müssen, kann eine Zwischennutzung finanziellen Ausgleich schaffen – beispielsweise durch die Übernahme laufender (Betriebs-)kosten durch den oder die Zwischennutzer:in. Wird darüber hinaus noch eine Nutzungsgebühr durch die Zwischennutzenden bezahlt, ergeben sich finanzielle Gewinne für die Eigentümer:innen.

    Auch Brachflächen können mit laufenden Kosten wie beispielsweise Grundsteuer, Verkehrssicherung, Kosten für Ver- und Entsorgung oder weiteren flächenbezogenen Kosten verbunden sein . Auch hier lohnt sich also die Zwischennutzung für den oder die Eigentümer:in, indem diese Grundkosten beispielsweise von der zwischennutzenden Partei übernommen werden. (Institut für Bodenmanagement: “Der Einfluss von Zwischennutzungen auf den Verkehrswert und die Wirtschaftlichkeit von Immobilien”, 2008)

    Neben den direkt finanziellen Gewinnen während der Zwischennutzung kann sich die Zwischennutzung für Eigentümer:innen vor allem auch aufgrund der Abwendung einer Wertminderung durch längerfristigen Leerstand der Immobilie lohnen. Während Leerstand ein Objekt häufig weniger attraktiv macht, kommt durch die Zwischennutzung die Chance hinzu, dass die Fläche oder die Immobilie durch die Zwischennutzung eine neue positive Ausstrahlung erhält und an Wert gewinnt. Diese Wertsteigerung kann im Nachgang bei Neuvermietung finanzielle Gewinne für den oder die Vermieter:in bedeuten. Auch kann sich mittel- und langfristig durch die Zwischennutzung eine Lageverbesserung der Straße, des Quartiers oder Stadtviertels einstellen, welche sogar den Verkehrswert der umliegenden Einzelgrundstücke oder Gebäude anhebt.

    Darüber hinaus bietet die Zwischennutzung Eigentümer:innen die Möglichkeit, neue Nutzungsarten für leerstehende Flächen ohne hohe Kosten und Risiken auszuprobieren, indem sie sich auf die neuen Konzepte der Zwischennutzenden einlassen. Dadurch ergeben sich möglicherweise neue Chancen für eine leichtere und nachhaltigere Langzeitvermietung.

  • Steigerung der öffentlichen Aufmerksamkeit der Immobilie und Möglichkeit zur längerfristigen Vermietung

    Durch Zwischennutzungsprojekte können leerstehende Immobilien wieder ins Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt werden: Mediale Berichterstattung, tatsächliche Frequentierung von Ladengeschäften oder die Nutzung der Immobilie als Treffpunkt neuer Zielgruppen wie Kreativer, Startups oder Engagierter können für Öffentlichkeit und neues Interesse sorgen. So manche Zwischennutzung konnte so sogar zu einem wahren Leuchtturmprojekt mit überregionaler Strahlkraft werden. Mit der gesteigerten Aufmerksamkeit erhöht sich zudem die Chance, mit möglichen neuen langfristigen Mieter:innen in Kontakt zu treten. Seien es die Zwischennutzenden selbst, die die Zwischennutzung quasi als Testlauf für eine längerfristige Nutzung oder Nachnutzung ausprobieren wollen, oder neue Mieter:innen, die durch die Zwischennutzung das Potenzial der Immobilie für ihre eigenen Projekte erkennen.

Warum sich Zwischennutzungen für Anbieter:innen/Zwischennutzende lohnen
  • Risikoarmes Austesten des Geschäftsmodells

    Durch die besonderen Konditionen eines Zwischennutzungsverhältnisses haben Zwischennutzende im Vergleich zu klassischen Mietverträgen eine unmittelbare Kostenersparnis. Durch die vergünstigten und temporär befristeten Konditionen der Zwischennutzung ist ein risikoarmes Ausprobieren von neuen Geschäftsideen mit geringem Investitionsvolumen möglich. Das Austesten neuer Produkte oder Konzepte am Markt kann so unter realen Bedingungen, aber ohne große finanzielle Risiken ausprobiert werden. Zwischennutzungen können damit als “Generatoren für Innovation” gelten: Sie bieten einen risikoarmen Raum für Experimente und ermöglichen einen neuen Umgang mit Unsicherheit.

  • Gewinnsteigerung durch öffentliche und mediale Aufmerksamkeit sowie Erschließung neuer Zielgruppen

    Durch die Nutzung von Räumlichkeiten auf Zeit (“Pop-Up”) wird die Aufmerksamkeit gezielt auf das neue Angebot gelenkt. Dies kann eine erhöhte Resonanz sowohl bei der potenziellen Kundschaft vor Ort, als auch bei den lokalen Medien auslösen, da nur temporär Verfügbares häufig einen größeren Reiz hat als Angebote, die dauerhaft verfügbar sind. Auch können durch die Eröffnung eines Präsenzangebotes neue Zielgruppen erschlossen werden. Und auch für die Kommunikation und Bindung mit bereits gewonnenen Zielgruppen bietet die Zwischennutzung einen Vorteil – denn nun sind über das Online-Angebot hinaus auch persönliche Kontakte möglich. Als Beispiel hierfür kann “Secondvintage” gelten, ein Ladengeschäft, das sich durch die Initiative HANAU aufLADEN von einem reinen Onlineshop über einen PopUp-Store zum dauerhaft funktionierenden Ladengeschäft entwickelt hat.

Warum sich Zwischennutzungen für Quartiere, Orte, Kommune und Regionen lohnen
  • Belebung der Innenstadt

    Laut IFH Köln werden im kommenden Jahr bis zu 46.000 stationäre Geschäfte schließen. Gerade vor diesem Hintergrund sowie vermehrtem Online-Shopping und der damit verbundenen Gefahr verödender Innenstädte, ist die (Re-)Vitalisierung von Stadtzentren derzeit eine enorme Herausforderung für Kommunen. Kreative Zwischennutzungen, die Erlebnis und Begegnung ermöglichen, können dabei eine Lösungsoption sein, indem sie den stationären Handel erweitern und stärken. Sowohl die Attraktivität als auch die Frequenz in der Innenstadt können durch neue, temporäre Konzepte erhalten oder erhöht werden und Geschäftsmodelle, die bislang nur online stattfinden, können sich vor Ort in der Innenstadt ausprobieren. Damit können neue Gründe für einen Besuch in der Innenstadt entstehen und neue Zielgruppen zum Besuch der Innenstadt bewegt werden. Den Effekt verdeutlicht die Erfahrung des Ladengeschäfts Secondvintage in Hanau: Durch die Eröffnung des neuen Angebots kamen wieder deutlich mehr Jugendliche und junge Menschen in die Stadt, die zuvor keinen Anlass zum Besuch der Innenstadt sahen. Im besten Falle kann im Anschluss an eine erste Zwischennutzung eine Spirale zur Eröffnung weiterer Ladengeschäfte in Gang gesetzt werden, die wechselseitig voneinander profitieren und die Innenstadt fortan beleben.

  • Erhöhung der Lebensqualität vor Ort und wirtschaftliche und kulturelle Belebung

    Doch nicht nur die Innenstädte und der Handel, sondern auch ganze Stadtteile oder Quartiere, die von Leerstand betroffen sind, können durch eine temporäre Bespielung von Leerständen aufgewertet werden. Denn Zwischennutzungen sind “eben keine Lückenfüller, sondern in vielen Fällen äußerst belebte Areale mit einer unterschätzten, oft bedeutenden Ökonomie und hohem Innovations- und Kreativitätsgrad”, so Dr. Philip Klaus vom INURA Institut Zürich. Durch ein attraktives Straßenbild, neue Angebote der Nahversorgung sowie kulturelle oder soziale Angebote steigt die Lebensqualität für die Anwohner:innen unmittelbar. Als Beispiel kann der Stadtsalon Safari in Wittenberge gelten, der durch den “Summer of Pioneers” der Initiative neulandia als Zwischennutzung in einem Leerstand initiiert wurde und mittlerweile als dauerhafter Ort für Kultur und Veranstaltungen etabliert ist. Beispiele wie dieses zeigen, dass Zwischennutzungen als eine Art Initialzündung für eine Vielzahl weiterer Projekte wie Kiezcafés, Begegnungsorte oder kulturelle Angebote dienen können. Und nicht selten ist eine Zwischennutzung dabei mit einer Existenzgründung verknüpft – wodurch sogar neue und attraktive Arbeitsplätze geschaffen werden können. Durch starke Impulse für die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung können Zwischennutzungen ihren Beitrag zu einer dynamischen Stadtentwicklung leisten, indem sie den lokalen Tourismus stärken, Abwanderungstendenzen entgegenwirken und Aufschwung für die Region initiieren. Die Nutzung von Leerständen zur Standortaufwertung kann folglich als innovative Möglichkeit sowohl für die regionale Wirtschaftsförderung als auch für das Stadtmarketing gesehen werden.

    Im Gegenzug können Leerstände, die nicht belebt werden, einen Trading Down Effekt anstoßen – denn Leerstand zieht häufig noch mehr Leerstand an und kann so zur schrittweisen Verödung von Stadtvierteln oder Innenstädten führen. Ein Beispiel hierfür ist der Donut-Effekt, der durch Leerstände im Ortskern verstärkt werden kann. Er beschreibt eine Siedlungsentwicklung, bei der die Ränder zwar belebt sind, die Innenstädte jedoch leer stehen.

  • Gemeinwohlorientierte & partizipative Stadtentwicklung

    Eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklungspolitik zählt – wie in der Neuen Leipzig Charta 2020 festgehalten – zu den “Prinzipien guter Stadtentwicklungspolitik”. Sie soll die Interessen der Allgemeinheit im Fokus haben und neue Formen der Beteiligung der Bürger:innen ermöglichen. Für diese Herangehensweise sind Zwischennutzungen oftmals prädestiniert, denn sie können einen Möglichkeitsraum für Mitgestaltung und Ausprobieren im Rahmen von gemeinwohlorientierten, partizipativen Stadtentwicklungsprojekten bieten.

    Sowohl sozialen oder ehrenamtlichen Initiativen, Sport- und Freizeitgruppen oder Kreativschaffenden als auch Anwohner:innen bieten Zwischennutzungen Räume und Plattformen, um neue Ideen auszuprobieren und Stadtentwicklung aktiv mitzugestalten. Durch den partizipativen Charakter zahlreicher Zwischennutzungsprojekte können diese im Gegensatz zu Projektentwicklungen aus einem Guss zur Schaffung von authentischer Diversität in Innenstädten und Stadtvierteln beitragen. Und die braucht es heute häufig, um deren Attraktivität und Vitalität zu garantieren.

    Potentielle Nutzer:innen können in einem offen gestalteten Zwischennutzungsprojekt direkt am Beginn des (temporären) Projekts stehen – und nicht wie häufig üblich erst am Ende eines Bauprozesses. Niedrigschwellige Mitmachformate und niedriger Kapitalbedarf können Zwischennutzungsprojekte zu Orten werden lassen, an denen Antworten auf grundlegende Fragestellung gefunden werden: Wie wollen wir künftig in unseren Städten leben? Und wer ist an der Gestaltung von Stadt beteiligt? Durch diese neue Kultur der Beteiligung, bei der die “Koproduktion von Räumen” im Vordergrund steht, können Bürger:innen selbst Einfluss auf ihre Umgebung nehmen und diese mitgestalten.

    Gleichzeitig wird Stadtentwicklung durch diese Partizipationsprozesse transparenter.

    Zwischennutzungskonzepte ermöglichen jedoch nicht nur Bürger:innen Partizipation und Mitgestaltung, sondern eröffnen auch für städtische oder kommunale Akteure neue Methoden der Stadtgestaltung. Insbesondere in ländlichen Räumen können damit Akteure mit neuen ko-kreativen Methoden partizipativer Stadtgestaltung in Berührung kommen und lernen, mit Bürger:innen über die Gestaltung vorhandener Räume und Flächen ins Gespräch zu kommen, um sich gegenseitig zu inspirieren und zu lernen. Diese Methodenkompetenzen können insbesondere das soziale Miteinander und die politische Teilhabe der Stadtgesellschaft stärken. Ihre Qualität, unterschiedliche Akteure einzubinden, Neues auszuprobieren und Räume zu Leuchtturmprojekten werden zu lassen, gibt Zwischennutzungen die Chance, treibende Kraft städtischer Transformation zu werden.

  • Raumnot in Städten entgegenwirken

    Während auf der einen Seite (Klein-)Städte um ihre Innenstädte bangen, herrscht auf der anderen Seite gerade in Großstädten und Ballungsgebieten häufig Raumnot. Die Ressource Raum wird durch steigende Preise und zunehmende Verdichtung zu einem immer knapperen Gut, das gerade Kreativen, Kulturschaffenden, jungen Unternehmer:innen oder auch Vereinen und Initiativen häufig nicht mehr zugänglich ist – gerade wenn es an finanziellen Mitteln fehlt. Zwischennutzungen können die vielerorts in Städten und deren Speckgürteln auftretende Raumnot adressieren, indem sie neue (leistbare) Räume schaffen. Sie sind damit nicht nur ein Tool, um Quartiere und Städte aufzuwerten, sondern auch, um andernorts Raumnot entgegenzutreten. So wurden zahlreiche Zwischennutzungsagenturen wie Transiträume aus Berlin, Radar in Frankfurt a.M., urban future project oder das Förderprogramm Frei_Fläche aus Hamburg ins Leben gerufen, um bezahlbare Räume für Kreativschaffende in Städten zu schaffen.

  • Nachhaltige Stadtentwicklung fördern

    Neben den bisher genannten Aspekten können Zwischennutzungen auch im Spannungsgebiet zwischen den Bedarfen neuer Siedlungs- und Gewerbeflächen und der Vermeidung von Neuversiegelung Lösungen bieten. Letztere ist als Paragraph 1a zum schonenden Umgang mit Grund und Boden Teil des Baugesetzbuches und spiegelt sich auch im Ziel der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, die Flächeninanspruchnahme bis 2030 auf weniger als täglich 30 Hektar zu mindern – was einer Halbierung der aktuellen täglichen Flächenversiegelung gleichkommt.

    Durch die Neu-, Um- oder Zwischennutzung bestehender Gebäude kann ein nachhaltiger Umgang mit Ressourcen gefördert werden: An die Stelle von kapital- und energieintensiven Neubauten tritt das Recycling und die Umformung von Bestehendem. Damit erfüllen Zwischennutzungsprojekte zentrale Aspekte der Nachhaltigkeit.